1. Einlaufbücher der Kunstwerke

Die Einlaufbücher der Kunstwerke des Wiener Künstlerhauses sind etwas Einmaliges; ähnliches gibt es von keiner anderen Künstlervereinigung Wiens. Sie geben uns Auskunft darüber, was zur Ausstellung im Künstlerhaus seinerzeit angemeldet wurde und sind somit zur Geschichte des Ausstellungswesens Wiens und zur Anlage von Oeuvreverzeichnissen einzelner Künstler von größter Bedeutung, ja unentbehrlich. Die Wichtigkeit der Bücher liegt in ihrem Dokumentarcharakter: die Bucheintragung zu jeder einzelnen Einlaufnummer, die sich zumeist auch heute noch als eine unscheinbare Etikette auf den Kunstwerken befindet (am Keilrahmen, der Kartonrückwand, der Rück- oder Unterseite der Plastik u.ä.) entspricht einer verlässlichen Kunstexpertise. Durch die Nummer kann im Buch der Künstler, der Titel, die obere Grenze der Entstehungszeit und oft auch das weitere Schicksal (Verkauf, neuer Eigentümer) des sonst meist weiter unbeschrifteten Werkes eruiert werden.

Diese Einlaufbücher wurden seit der Eröffnung des Künstlerhauses 1868 bis Jahresende 1968 geführt, also genau hundert Jahre. Erst 1969 ging man durch die sich inzwischen veränderte Ausstellungsstruktur des Hauses mit immer zahlreicheren fremden Großaustellungen und wegen des Auflassens der wettbewerbsfördernden Mitglieder-, insbesondere der einst berühmten Jahresausstellungen, von dieser Evidenzart der Exponate ab.

Die definitive, in den Einlaufbüchern geführte Evidenz der Kunstwerke entstand in den Jahren um die Wiener Weltausstellung 1873; zwischen 1868 und 1872 gab es mehrere Nummerierungen; anscheinend wurden erst nachträglich alle Werke durchnummeriert und zusätzlich in einem Buch zusammengefasst. 1874 gab es noch eigene Nummerierungen der Jahresausstellung und der „Permanenten Ausstellungen“. Es kam damals noch öfters vor, dass die Werke nicht sofort, fortlaufend nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs aufgenommen wurden, sondern gruppenweise erst später, d. h. mehrere auf einmal und womöglich durcheinander. Nach dem Ausgangsdatum wurden bereits Werke in den Einlaubüchern eingetragen, die in das Künstlerhaus erst viele Seiten später kommen sollten.

Katalognummern wurden in der Regel nicht am ausgestellten Kunstwerk, sondern an der Wand daneben befestigt, sind also heute am Kunstwerk selbst nur in den seltensten Fällen sichtbar. Sie konnten sich auch ändern, vor allem in den Permanenten Ausstellungen; es sind aber auch einige Fälle anlässlich einer Neuhängung der Jahresaussstellung dokumentiert. Die Angabe einer Katalognummer gibt zur Identifizierung der Kunstwerke wenig Auskunft.

Ab etwa 1874, vielleicht aber auch schon etwas früher, trugen fast alle Werke, die ins Künstlerhaus zu einer Ausstellung kamen, mit Ausnahme kleiner Medaillen oder heiklen Graphiken, die Einlaufnummer auf einem etwa vier mal sechs Zentimeter großen Klebezettel aus Farbpapier (grün, rot, blau) – stets mit zwei Zahlen: dem Jahr und der fortlaufenden Einlaufnummer. Diese Einlaufnummer konnte ein bis vierstellig sein, wobei die Leerstellen vorne öfters durch Nullen ausgefüllt oder einfach abgeschnitten wurden. Der Einlaufnummer entsprach die Eintragung im Einlaufbuch der Kunstwerke. Das Vereinsjahr entsprach ursprünglich nicht dem Kalenderjahr; die Nummerierung begann (mit einigen Ausnahmen zu Beginn des Künstlerhauses) am 1. November des vorangegangenen Jahres und endete am 31. Oktober. Erst 1940 wurde das Vereinsjahr mit dem Kalenderjahr zusammengelegt.

Die Eintragungen und ihr Inhalt variierten im Laufe der Zeit von sorgfältig bis schlampig, je nach Arbeitsweise des verantwortlichen Beamten. Sie beinhalteten nach der Einlaufnummer meist folgende Daten:

  • Technik (Ölgemälde, Aquarell, Gips, Bronze, etc.)
  • Name des Künstlers (oft auch mit seinem Wohnort bzw. sogar mit seiner genauen Adresse zum Zeitpunkt der Kunstwerkversendung)
  • Gegenstand / Titel des Werkes
  • den Preis – wobei es einen Versicherungswert unverkäuflicher Werke, einen Katalogpreis und einen Vertrauenspreis (Preis, bis zu dem der verkaufende Sekretär dem Kunden nachlassen konnte) gab
  • Datum der Einsendung (wurde oft nicht ausgefüllt)
  • beim Verkauf – Name des Käufers
  • der tatsächliche Verkaufspreis
  • Provision für das Künstlerhaus
  • Einsender oder Eigentümer des Werkes
  • Name des Abholenden
  • Tag der Ausfolgung

Schließlich gab es noch weitere, heute unwichtige Anmerkungen, wie Nummer bzw. Bezeichnung der Verpackungskiste, der sonstigen Belege oder – wieder wichtig – Hinweise auf weitere, anschliessende Ausstellungen. Namen und Adressen der Käufer bzw. die Zahlungsmodalitäten findet man auch in den parallel laufenden Kassa- bzw. Verkaufsbüchern der Kunstwerke.

Eingetragen werden sollte damals jedes Kunstwerk, das die Schwelle des Künstlerhauses zum Zweck einer hauseigenen Ausstellung überschritt. Eine Ausnahme bildeten die privat veranstalteten Auktionen einzelner Kunsthändler bzw. Vermietungen, die alle ihre Kunstwerke auf einmal brachten und für sie selbst verantwortlich waren. Vergleiche mit den erhaltenen Katalogen brachten allerdings auch darüber hinaus eine starke Inkonsequenz, vor allem in den Anfangsjahren der Genossenschaft. So findet man in den gedruckten Ausstellungskatalogen manchmal auch Werke, die in den Einlaufbüchern nicht vorkommen. Vielleicht handelte es sich um nachträgliche, direkte, rasche Ausstellungsergänzungen nach noch vorhandenem Platzangebot, teilweise auch um unverkäufliche Einlieferungen aus einer Sammlung, die man nachlässigerweise nicht mehr in die Bücher eintrug.

Es kommt oft vor, dass einzelne Werke im Einlaufbuch unter einem anderen Titel eingetragen wurden als dann später im Katalog angegeben, vor allem bei Übersetzungen aus fremden Sprachen. Auch Preisangaben differieren; eindeutig kommen hier Rücksprachen mit dem Künstler zur Geltung.

Eine verlässliche Korrelation Kataloge-Einlaufbücher ist nicht in allen Fällen einwandfrei möglich, aber etwa bei einer genauen Anlegung von Werkverzeichnissen einzelner Künstler herstellbar.

Von vornherein in den Einlaufbüchern nicht enthalten sind Kunstwerke fremder Auktionäre, die mit eigenen Listen und Katalogen arbeiteten und deren Kunstwerke die Jury und hauseigene Komitees nichts angingen. Ebenso wenig befinden sich in den Einlaufbüchern die seinerzeit sehr in Mode gekommenen, unverwechselbaren Kolossalgemälde, denen als Einzelstücke meist ein eigener Saal zugeteilt wurde.

Im Künstlerhaus wollten vor allem lebende, zeitgenössische Künstler selbst ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren und auf den Markt bringen. Wie die Einlaufbücher zeigen, waren es aber, wieder vor allem in der Anfangszeit der Genossenschaft, oft auch private Sammler, Kunstfreunde und Kunsthändler, die aus diversen Gründen ihre Kunstwerke durch das Künstlerhaus wieder verkaufen wollten. Sowohl die Kunsthändler, als auch diese Privaten brachten des Öfteren auch Werke alter, längst verstorbener Meister zum Verkauf. Angeboten wurden diese innerhalb der Permanenten Ausstellungen.

Den Kunsthändlern wurden zu ihren Auktionen meist ganze, separat abgeschlossene Säle vermietet. Aber auch in dieser scharfen Trennung zu den hauseigenen, in die Verantwortlichkeit der Ausstellungskommissionen fallenden Ausstellungen, wurde nicht immer konsequent vorgegangen. Obwohl die Auktionäre eigene Kataloge hatten, konnten die von ihnen angepriesenen Werke auch noch einmal in den Katalogen der Permanenten Ausstellung verzeichnet sein, vor allem, wenn die Besichtigung über einen längeren Zeitraum (Wochen) vor der angesetzten Auktion möglich war.

Viele Künstler brachten auch unverkäufliche Werke zur Ausstellung als Dokumentation bzw. Präsentation ihres Schaffens des letzten Jahres; dies war vor allem bei Auftragsarbeiten und Porträts der Fall. Bei Kollegen waren die als unverkäuflich bezeichneten Werke nicht beliebt, weil sie Platz wegnahmen.

Es kam vor, dass das gleiche Kunstwerk mehrmals im Einlaufbuch in kurzem Abstand nacheinander verzeichnet wurde; ein Indiz dafür, dass es das Künstlerhaus inzwischen verlassen hatte, vielleicht zum Zweck einer auswärtigen Ausstellung. Überschneidungen ergeben sich zur Jahreswende, bedingt durch die Abweichung des Vereins- vom Kalenderjahr; so wurden manche Werke doppelt, im alten und im neuen Buch eingetragen. Dort, wo eine eindeutige Identifizierung unmöglich erscheint, kann es sich aber auch um zwei gleichnamige Werke, also Varianten des gleichen Themas handeln (ein Hinweis dafür sind z. B. die weit divergierenden Preisangaben).

Dass dasselbe Kunstwerk mehrmals, in kurz aufeinander folgenden Zeitabständen, im Künstlerhaus ausgestellt worden wäre, war nicht üblich. Dagegen kam es vor, dass ein in der Jahresausstellung präsentierte Bild auch noch während des Sommers in der anschließenden Permanenten verblieb, manchmal mit einem niedriger angesetzten Preis. Einige Male wurden die Preise auch noch während der Permanenten Ausstellung herabgesetzt. Nachdem die Werke die Künstlerhausausstellung verlassen hatten, kehrten sie dorthin nur noch nach einem langen zeitlichen Abstand zurück, so etwa zu retrospektiven Kollektionen.

Im Künstlerhaus sortierten die streng demokratisch gewählten und sich jährlich abwechselnden Jurys die nichtausstellungswürdigen Werke aus. So kann aus dem Vorhandensein einer Einlaufetikette nicht automatisch rückgeschlossen werden, dass dieses Werk auch tatsächlich in einer Ausstellung präsentiert wurde; Dies geht aus dem Einlaufbuch nicht eindeutig hervor. Nur das Ausgangsdatum kann ein Indiz sein, wenn es vor dem Ausstellungsende lag; Vergleiche mit den Katalogen oder – wenn kein Katalog gedruckt wurde – sind in diesem Fall notwendig.

Die Zahl der von den Jurys ausgeschiedenen Werke stieg im Laufe der Jahre, sie hing mit dem vorhandenen Raumangebot und der Anzahl der eingelaufenen Anmeldungen zusammen. Anfangs gab es kaum Ablehnungen; später wuchsen sie wegen des zunehmenden Interesses bzw. der zunehmenden Künstleranzahl stark an, sodass öfters bis zu einer Hälfte der eingesandten Arbeiten ausgeschieden werden musste. Eine Rolle spielte dabei natürlich auch die Ausstellungsarchitektur: die Bilderhängung in mehreren Reihen übereinander war anfangs durchaus üblich. Erst später beschränkte man sich auf eine einzige Reihe in Augenhöhe und auch die seitlichen Abstände zwischen den Bildern wurden nach und nach größer.

Das Wissen um die Bedeutung der Etiketten ist im Laufe der Zeit fast verloren gegangen; erst nach 1972 wurde die Rolle dieser kleinen Zettel vom Archivar und über ihn vom Kunsthandel wieder entdeckt. Allerdings machen nur seriöse Kunsthändler den Unterschied zwischen „eingeschickt“ und „ausgestellt“; meist genügt ihnen nur das Vorhandensein der Etikette allein, was auch einer Dokumentation entspricht. Einlaufbücher und die mit ihnen zusammenhängenden, durchnummerierten Klebezettel anderer Künstlervereinigungen, wie etwa der Secession oder des Hagenbunds, sind nicht bekannt.

Die heute am Kunstwerk noch vorhandene Etikette ist wichtig, weil – zusammen mit dem Auszug aus dem Einlaufbuch – einer Kunstexpertise gleicht; oft sind die zettelbeklebten Werke nur monogramiert oder sogar überhaupt unsigniert. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor bleibt allerdings erhalten: es kommt vor, dass der Künstler selbst im Atelier seine Werke umrahmte (in dem Fall muss der Titel nicht stimmen, jedoch die Autorschaft) bzw. dass diese Werke später im Kunsthandel umgerahmt wurden (in diesem Fall ist nicht einmal die Autorschaft gesichert). Veränderungen in primitiver Fälschungsabsicht kommen kaum vor – sie sind ja anhand der Einlaufbücher sehr leicht zu entlarven, aber es gibt sie. Dem Archivar ist während der letzten Jahre auch ein Fall einer absichtlichen Zettelübertragung zum Hervorheben der Ausstellungstätigkeit in Unkenntnis des Vorhandenseins der Einlaufbücher bekannt geworden. Umgekehrt konnte ein Zettel auch eine eindeutige Fälschung entlarven: bei einer Dorotheum- Auktion handelte es sich um ein unsigniertes Werk eines der Fachwelt kaum bekannten Künstlers; bei einem Linzer Kunsthändler drei Monate später hatte dieses Bild schon die Signatur eines finanziell lukrativeren Malers.

Die Schreibweise des Titels wurde öfters geändert; interessanterweise verwendete man in den Katalogen und Listen nach 1868 kaum “ß”, sondern “ss”. Statt “t” gab es oft “d” (Brod), statt des heute verwendeten “t” oft “th” (Kärnthen). Kaum ein System herrscht im “E” und “Ä” (Egypten, Änten).

„Privateigentum“, „Privatbesitz“ bzw. „Eigentum“, bedeutet mit Sicherheit nur, dass sich das Kunstwerk nicht mehr im Besitz seines Schöpfers befand, aber trotzdem verkäuflich sein konnte. Wo das angeführte Kunstwerk unverkäuflich war, bezeichnet die angegebene Summe den Versicherungswert. Man kann in der Regel annehmen, dass die Porträts meist unverkäuflich waren und sich bereits im Besitz der Dargestellten befanden. Bei retrospektiven Ausstellungen, wo man auf Leihgaben angewiesen war, handelte es sich fast ausschließlich um unverkäufliche Werke. Die große Mehrheit der in den Jahres- und Permanenten Ausstellungen des Künstlerhauses gezeigten Werke war jedoch verkäuflich und verkäuflich waren natürlich auch Werke, die von Kunsthändlern in einzelne Ausstellungen eingebracht wurden.

Auf die angegebenen Verkaufspreise wurden vom Künstler selbst oft Rabatte gewährt; öfters stimmen auch die Preisangaben im Katalog mit den des Einlaufbuchs nicht überein, wenn die Hängekommission mit der angegeben Summe nicht einverstanden war. Solche, allerdings seltenen, Korrekturen konnten in beide Richtungen vorgenommen werden, je nach dem ursprünglichen Selbstbewusstsein des Künstlers. Sehr oft nannte der Künstler von vornherein auch zwei Preise, den Katalogpreis und den sogenannten Vertrauenspreis, d. h. den Wert, zu dem er bereit war bei den Kaufverhandlungen, die meist vom Sekretär der Genossenschaft geführt wurden, nachzugeben. Der Preis des gleichen Werkes war in der Jahresausstellung höher, als eventuell später in der Permanenten. Es kommt auch vor, dass der Preis während der Ausstellung in der Permanenten, anlässlich einer neuen Katalogausgabe, verändert wurde und das sowohl nach oben als auch nach unten – trotz des bereits Ausgestellt- und nicht Verkauftseins über einige Wochen.

1868 gab es noch viele verschiedene Währungen der kleindeutschen Staaten, später nur noch Gulden (fl.) österreichischer Währung bzw. für Deutschland die Mark bzw. die Reichsmark. Ab 1900 gab es Kronen, wobei 1 Gulden (fl.) = 2 Kronen wurde (K). Schillinge wurden 1925 eingeführt, wobei 10 000 K = 1 Schilling. Nach dem „Anschluss“ wurde mit dem 25. April 1938 die deutsche Reichsmark mit dem Zwangsumtausch 1.50 Schilling = 1 RM eingeführt. Mit dem Schillingsgesetz vom 30. November 1945 entstand wieder die Schillingswährung, wobei 1 RM = 1 Schilling. Mit dem 1.1.2002 wurde schließlich der Euro eingeführt: 1 Euro = 13,7603 ATS, was allerdings für die Einlaufbücher bereits ohne Belang ist.

Das allgemeine Preisniveau der Kunstwerke war 1868 relativ hoch, sank dann rapide nach der Wirtschaftskrise 1873 und stieg dann gegen Jahrhundertwende in astronomische Höhen. Die Bildung der Secession 1897 brachte Beunruhigung und Verunsicherung unter den Käufern. Während des Ersten Weltkriegs stiegen die Preise wieder rapid, was nicht nur durch die Inflation erklärbar ist, sondern auch durch das Bestreben in der Kunst Geld anzulegen. Während der wirtschaftlichen Krise der zwanziger und dreißiger Jahre sanken die Werte auf einen noch nie da gewesenen Tiefpunkt. Nach dem Anschluss 1938 zogen die Preise wieder stark an, nach 1945 fielen sie ins Bodenlose; sie erholten sich bis zum Ende der Einlaufbücher 1968 bis auf einige Ausnahmen nicht mehr. Auf jeden Fall war die auf Verkäufen basierende soziale Lage eines Durchschnittskünstlers 1968 wesentlich schlechter als die seines Kollegen von 1914 oder 1868.

Die Maße der Werke wurden in den Einlaufbüchern, aber auch in Katalogen in der Regel nicht angeführt; man trifft sie aber fast immer in den Auktionspublikationen der Kunsthändler.

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