In der Hauptversammlung am 22. Mai 1958 kam es zu einem gesellschaftlich bedeutenden Vorschlag und einer nicht minder bedeutenden Abstimmung: 35 Mitglieder waren für die offizielle Einführung des “Du” – Wortes innerhalb der Mitgliedschaft. 26 Kollegen stimmten gegen das Du-Wort, 4 waren ohne eigene Meinung. Wegen dieser knappen Mehrheit wurde den jüngeren Kollegen empfohlen, künftig auf die Anrede des jeweils Älteren zu achten. Üblich war damals die “Du”-Anrede unter den Mitgliedern politischer Parteien, Veteranenverbände und manch anderer streng organisierter Gruppen, Organisationen und Vereine.
Das “Du” gab es am Beginn aller Sprachen, im Deutschen gab es bis zum Frühmittelalter überhaupt keine andere Anrede. Im neunten Jahrhundert kam dazu das “Ihr”, das hochgestellten Persönlichkeiten vorbehalten war. Ab dem 17. Jahrhundert gab es das “Er” und “Sie”; das für unsere Ohren lächerlich klingende “Er” starb gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wieder aus. Übrig blieben das “Du” und “Sie”, wobei die Entwicklung in Österreich-Ungarn eine andere Bedeutung bekam als in Deutschland.
In der Donaumonarchie wurde das “Du” als Zeichen einer Gleichstellung und Zugehörigkeit gebräuchlich; zugleich als Abgrenzung gegenüber anderen Gesellschaftsschichten oder Fremden. Traditionsgemäß waren alle k.u.k. Offiziere, höhere Staatsbeamten sowie Adelige untereinander per “Du” sofort bei ihrer ersten Begegnung; dieser Brauch ist bei traditionsbewussten Persönlichkeiten bis heute geblieben – und wird von uneingeweihten Außenstehenden oft falsch gedeutet.
Damen der Aristokratie, bis auf junge Mädchen, wurden und werden von Männern stets per “Sie” angesprochen; Damen untereinander verkehrten wiederum per Du. Ein preußischer Graf dagegen wird, auch wenn er heute im Gegensatz zu seinem österreichischen Kollegen den Adelstitel im Personalausweis und Reisepass eingetragen hat, in Wien stets per “Sie” angeredet.
Im Künstlerhaus wurde das “Du”-Wort von Beginn an unter persönlich bekannten Kollegen privat angewandt, unter malenden Beamten und Offizieren sowieso; im offiziellen Schriftverkehr der Genossenschaft wandte man allerdings meist die höfliche Form “Sie” an.1 Am 22. Mai 1958 wurde die Du-Form nun offiziell an alle Mitglieder und den gesamten Schriftverkehr des Künstlerhauses ausgedehnt. Das “Du” bedeutet aber keine Vertrautheit oder Intimität; es ist vielmehr ein Zeichen der gegenseitigen Anerkennung unter Kollegen. Formulierungen wie “Wie geht es Dir, Herr Professor” klingen nur für fremde Ohren ungewöhnlich.
In den letzten Jahren kam das Du-Wort im Künstlerhaus unter veränderten politischen und sozialen Verhältnissen, auch wegen des stagnierenden Vereinslebens zeitweise überhaupt außer Gebrauch; erst die letzten Mitgliederaufnahmen des Präsidenten Manfred Nehrer nach 2000 machten wieder auf das “Du” aufmerksam.